Versicherungsausblick: Nichts ist beständiger als der Wandel
Im Überblick
Die Welt ändert sich schnell, und Unternehmen dürfen das nicht ignorieren. Für Versicherungen gilt das erst recht. Konjunktur und Fundamentaldaten sind für sie wichtig. Anders als viele andere Unternehmen müssen Versicherungen aber auch auf Finanzmarktentwicklungen und aufsichtsrechtliche Veränderungen reagieren. Weil zurzeit so viel im Fluss ist, müssen sie flexibel sein und Risiken klug steuern.
Die letzten fünf Jahre – von Corona bis heute – waren für Versicherungen nicht einfach. Nach zehn Jahren mit extrem niedrigen Zinsen führten erst Angebotsstörungen durch die Pandemie und dann der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zu einem beispiellosen Inflationsanstieg. Die Geldpolitik wurde gestrafft, die Zinsen stiegen, die Zinsvolatilität nahm zu.
Die üblichen Folgen restriktiverer Finanzbedingungen blieben aber aus. Vor allem die US-Wirtschaft war überraschend stabil. Die sehr viel straffere Geldpolitik wurde durch einen überraschend widerstandsfähigen Konsum, hohe Investitionen und eine sehr expansive Fiskalpolitik ausgeglichen.
Für Versicherungen war all das Chance und Herausforderung zugleich. Volatile Zinsen sind schwierig, doch alles in allem befinden sich die Renditen auf Mehrjahreshochs. Weil sich risikobehaftete Wertpapiere gut hielten, konnten Versicherungen ihre Buchrenditen sanieren, indem sie zu höheren Renditen einstiegen, und so ihre Finanzen stärken.
Lockerung
Die Inflation ging immer weiter zurück, und die Geldpolitik wurde kontinuierlich gelockert – allerdings nicht überall gleich schnell. Wegen der schwächeren Konjunktur in Europa und der schnelleren Rückkehr der Inflation zum Zielwert begann die EZB schon Mitte 2024 mit der Zinsnormalisierung; bis Mitte 2025 senkte sie ihren Leitzins auf 2%. Die OECD rechnet damit, dass das Euroraum-BIP 2025 um 1,2% und 2026 um 1,0% wächst.1
Ganz anders ist es in den USA, wo die Federal Funds Rate 3,75% beträgt. Am Markt rechnet man mit einem Rückgang auf 3,0% im neuen Jahr. Einerseits werden ein schwächerer Arbeitsmarkt und ein niedrigeres Wirtschaftswachstum erwartet, andererseits noch immer eine Inflation über dem Zielwert. Vor allem aber herrscht Unsicherheit über die Auswirkungen der Zölle und von Trumps Politik insgesamt. Die OECD rechnet damit, dass das Wirtschaftswachstum in den USA von 2,8% im letzten Jahr auf 1,8% in diesem und 1,5% im Jahr 2026 zurückgeht.1
Weltweite Zinssenkungen mit Renditerückgängen in allen Laufzeitsegmenten können für Versicherungen eine Herausforderung sein. Sie müssen sorgfältig auf Durations- und Wiederanlagerisiken achten. Das gilt vor allem bei einem lückenhaften Verbindlichkeitenmanagement. Aber diesmal scheint vieles anders zu sein.
- OECD Economic Outlook, Interim Report September 2025 | OECD.
- OECD Economic Outlook, Interim Report September 2025 | OECD.
Steilere Zinsstrukturkurven und fallende Risikoprämien von Credits und Aktien
Trotz des schwächeren Wachstums- und Inflationsausblicks sind die Zinsstrukturkurven in den meisten Ländern steiler geworden – wegen der unsicheren politischen Lage und neuer Zweifel an der Haushaltspolitik, den hohen Staatsdefiziten und Sorgen um ihre Nachhaltigkeit. Symptomatisch ist die Lage in den USA und Frankreich: Die Ratingagenturen haben beide Länder gerade erst herabgestuft.
Steilere Zinsstrukturkurven in wichtigen Ländern
Legende: Blau: Euro Swaps. Grün: US-Staatsanleihen. Violett: britische Staatsanleihen. Rot: japanische Staasanleihen. Quelle: Barclays Live.
Die noch immer instabile politische Lage und die vermutlich höheren Nettoemissionen im neuen Jahr könnten die Risikoprämien von Staatsanleihen steigen lassen. Auch andere technische Faktoren könnten für steilere Zinsstrukturkurven sorgen, etwa die Reform des niederländischen Rentensystems mit der Folge, dass Pensionsfonds wohl weniger Langläufer halten werden. Dadurch könnten die Langfristzinsen volatiler werden und weiter steigen.
Auf den ersten Blick scheinen steilere Zinsstrukturkurven für Versicherungen gut, vor allem wenn sie langfristige Verbindlichkeiten haben. Sie können dann von höheren Renditen profitieren und höhere Anlageerträge erzielen. Aber so einfach ist es nicht immer.
Wenn man zu schnell in Langläufer umschichtet, können unrealisierte Verluste anfallen. Auch lassen sich die Portfolios dann nicht mehr so gut steuern und umschichten. Versicherungen mit Long-Positionen in Receiver-Swaps, die feste Zinsen erhalten und variable Zinsen zahlen, könnten dadurch dann Liquidität benötigen. Zugleich schrumpft ihr Bestand an möglichen Sicherheiten.
Höhere Langfristzinsen könnten aber die Finanzen von Lebensversicherungen mit sehr langfristigen Verbindlichkeiten und einer entsprechend negativen Durationslücke stärken. Mit dem Inkrafttreten von Solvency II im Jahr 2027 dürfte dieser Effekt noch stärker sein2 (wegen der höheren Zinssensitivität jenseits des Last Liquid Point3). Allerdings wird eine Ausweitung der Credit-Spreads durch die (antizyklische) Volatilitätsanpassung (VA) nicht vollständig aufgefangen. Sie gleicht die Auswirkungen auf die Bewertung nach der Standardformel nur teilweise aus. Das tatsächliche Portfolio kann daher von der aufsichtsrechtlichen Benchmark abweichen.
Während Staatsanleihen unter Druck stehen, sind die Risikoprämien risikobehafteter Titel zurückgegangen – und das trotz der unsicheren (welt)politischen Lage, der Zölle und Handelskonflikte und des schwächeren Weltwirtschaftsausblicks. Die hohen Gesamtrenditen aller Arten von Credits führten in den letzten Jahren zu einer hohen Nachfrage. Bis jetzt sind Credits fundamental stabil. Die Geldpolitik wird gelockert und es werden viele Unternehmensanleihen begeben. Die hohen Bewertungen und die beschriebenen Risiken machen den Sektor dennoch anfällig.
Ähnliches gilt für Aktien, zumindest in den USA. Der KI-Optimismus hat zu hohen Investitionen in eine Handvoll Unternehmen geführt, auf die zuletzt der überwiegende Teil der Erträge entfiel. Damit es nicht zu einer Korrektur kommt, müssen die Erträge mit der KI-Begeisterung Schritt halten.
- Vorschlag der Europäischen Kommission zur Solvency-II-Reform, Juli 2025.
- Updated technical RFR documentation applicable as of 30 June 2025 - EIOPA (Last Liquid Point (LLP); neue Berechnung des risikolosen Zinses).
Veränderungen und Unsicherheit, aber Versicherungen haben noch Spielraum
Die letzten Jahre haben gezeigt, dass sich Versicherungen vorbereiten müssen. Es mag eine Binsenweisheit sein, aber in Zeiten wie diesen geht nichts über Risikodiversifikation. Das gilt auch für Liability-Matching-Portfolios. In vielen europäischen Ländern stammen die Staasanleihenbestände der Versicherungen zu gut der Hälfte aus dem eigenen Land.4
Versicherungen haben jetzt mehr Diversifikationsmöglichkeiten. Sie können etwa in EU-Anleihen oder Titel internationaler Organisationen investieren. Sie können auch versuchen, durch die Kombination von sehr hochwertigen Anleihen mit Zinsderivaten das Spreadrisiko zu senken.5 Derivate können sehr interessant und flexibel sein, erfordern aber ein sorgfältiges Sicherheitenmanagement. Solvency II dürfte ein Anreiz zur stärkeren Portfoliodiversifikation sein, damit die Versicherungsportfolios besser zur volatilitätsadjustierten Benchmark (VA-Benchmark) passen. Man geht davon aus, dass diese stärker diversifiziert ist als die meisten derzeitigen Versicherungsportfolios.6 Vorgesehen ist, dass Anleihen, Kredite (Loans) und Verbriefungen für die VA-Berechnung genutzt werden können, Derivate hingegen nicht. Auch das dürfte Auswirkungen auf den Einsatz von Zinsswaps haben.
Risikobehaftete Wertpapiere, vor allem Unternehmensanleihen, stammen in der Regel zu einem kleineren Teil aus dem eigenen Land als höherwertige Anleihen. Aber auch hier gibt es noch sehr viel Diversifikationspotenzial. Durch Anlagen in ausländischen Credits und generell in anderen Regionen lässt sich das Konzentrationsrisiko deutlich senken. Außerdem lassen sich Bewertungsunterschiede dann leichter nutzen.
Wer weniger am Heimatmarkt investiert, muss unerwünschte Risiken absichern. Dazu eignen sich Zins- und Währungsderivate. Versicherer können dadurch flexibler anlegen und das Spreadrisiko an das Marktumfeld anpassen. Außerdem ermöglichen sie ein von der Verbindlichkeitenstruktur unabhängigeres Credit-Portfolio.
Anleihenportfolios kann man unterschiedlich stark diversifizieren. Die größte Vielfalt bietet ein weltweit anlegender, sektorübergreifender Ansatz, der in alle Arten von Industrieländer- und Emerging-Market-Titel investiert, ob börsennotiert oder nicht. Trotz ähnlichem Rating können manche Asset-Backed Securitities (ABS) deutlich höhere risikoadjustierte Spreads als Unternehmensanleihen bieten. Auf jeden Fall müssen Versicherungen die aufsichtsrechtlichen Kapitalanforderungen beachten. Da Solvency II die Kapitalanforderungen für Verbriefungen senkt, dürften sie attraktiver werden.
Angesichts der vielfältigen Risikofaktoren müssen Versicherungen flexibel sein und die Portfoliorisiken gegebenenfalls stärker diversifizieren. Die Herausforderung ist stets, ein aktiveres und moderneres Investmentmanagement mit aufsichtsrechtlichen und buchhalterischen Anforderungen in Einklang zu bringen.
Versicherungen, die ihre Portfolios nach dem Variable Fee Approach gemäß der neuen International Financial Reporting Standards (IFRS 17) bewerten, dürften die neuen Regeln als flexibler wahrnehmen. Sie ermöglichen ein aktiveres Risiko- und Ertragsmanagement.7 Insgesamt sehen wir aber bei allen Versicherungsportfolios noch Spielraum, egal welcher Regulierungsrahmen gilt. Es gibt noch viel Veränderungspotenzial.
- FINANCIAL STABILITY REPORT, EIOPA Juni 2025.
- Derivate sind Finanzinstrumente, deren Wert auf Kursänderungen des zugrundeliegenden Basiswerts reagiert. Man hält diese Basiswerte nicht physisch. Stattdessen schließt man einen Vertrag ab, der auf einer Reihe von Prognosen basiert.
- Solvency II - EIOPA.
- AP2C: Variable Fee Approach.
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