Investment Institute
Die Sicht des CIO

Der Konsens ändert sich

  • 26 Januar 2024 (7 Minuten Lesezeit)

Keine Rezession, niedrigere Inflation und stabile bis niedrigere Zinsen – das war der Konsens für 2024. Aber jetzt ändert er sich, vor allem wegen der starken US-Wirtschaft. Sie ist letztes Jahr real um 2,5% gewachsen und nominal heute um fast 30% größer als Ende 2020. Am Geldmarkt wird man noch einige Zeit gut verdienen, aber weitergehende Chancen halten sich in Grenzen. Der Zinsrückgang, auch wenn er klein ist, dürfte Anleihen und Aktien nützen, wenn eine Rezession ausbleibt. Eine höhere Anleihenquote ist sinnvoll, da sich die Zinserträge endlich wieder lohnen. Ergänzt um wachstumsstarke Technologieaktien könnte das ein interessantes und ausgewogenes Portfolio ergeben. Natürlich gibt es Risiken, aber die sind allgemein bekannt. Zu Recht fürchtet man sie mehr, als man auf hohe Gewinne hofft. Aber manchmal ist es auch schön, sich der Fantasie hinzugeben.


Mal so, mal so

Frei nach Benjamin Franklin: Nichts in dieser Welt ist sicher außer dem Tod, den Steuern und endlosen Diskussionen über den Zeitpunkt der ersten Zinssenkung. Wenn wir die dabei verschwendete Energie anders nutzen könnten, wäre das Klimaproblem bereits gelöst. Erst schätzten die Märkte die Wahrscheinlichkeit einer ersten Zinssenkung der Fed im März auf 90%, jetzt gehen sie nur noch von 50% aus. Dafür ist man sich jetzt zu 100% sicher, dass es spätestens im Mai so weit ist, und erwartet einen Leitzinsrückgang auf 4,0% bis zum Jahresende. Fallende Leitzinsen bleiben also eine wichtige Annahme für 2024. Wir müssen aber akzeptieren, dass sie vielleicht nicht so stark und oft gesenkt werden, wie wir in der Euphorie Ende 2023 nur zu gerne glauben wollten.

Ein Hoch auf die USA

Eine andere Annahme für 2024 ist, dass die USA eine Ausnahme­erscheinung bleiben. Real ist die US-Wirtschaft im 4. Quartal 2023 um 3,3% p.a. gewachsen, und insgesamt legte sie 2023 um 2,5% zu. Das nominale Wachstum betrug 6,26%, gegenüber mehr als 9% im Jahr 2022 und über 10% im Jahr 2021. Nominal ist das US-BIP heute um 28% größer als Ende 2020. Da überrascht es nicht, dass Aktien kräftig zugelegt haben, um 10% p.a. in den letzten drei Jahren, und dass der Dollar kräftig aufwertete. Die meisten Europäer sind sich nach einem USA-Besuch sicher, dass das Land boomt – allen Prognosen und der Erwartung zum Trotz, dass die Fed das Land in die Rezession führt. Warum sollte man also die Zinsen drastisch senken, solange die Daten keine echte Trendwende anzeigen?


Was ist eigentlich „real?“

Vielleicht wird die Fed am Ende nur etwas Finetuning vornehmen. Die Kern-Verbraucherpreisinflation betrug im 4. Quartal 2023 nach wie vor knapp 4,0% und war damit doppelt so hoch wie von der Notenbank gewünscht. Beim Höchststand im September 2022 hatte sie aber noch 6,6% betragen, während die Leitzinsen mittlerweile um 225 Basispunkte höher sind. Der reale Kurzfristzins beträgt also jetzt 1,6% – gegenüber ‑6%, als die Straffung begann. Letztmals war der Leitzins vor der internationalen Finanzkrise so hoch. Viel spricht dafür, dass er weiter steigt, wenn die Kerninflation in den kommenden Monaten weiter zurückgeht. Wenn die Fed die Realzinsen für zu hoch hält, könnte sie sich vielleicht zu einer gewissen Anpassung veranlasst sehen. Allerdings, und das werden viele von Ihnen nicht gerne hören, könnte bei der derzeitigen Vollauslastung der Wirtschaft ein realer Kurzfristzins nahe 2,0% wesentlich angemessener sein. Vor der Krise der Jahre 2008 und 2009 lagen die realen Kurzfristzinsen zwischen 0% und 4%. In den 1990ern, als die US-Wirtschaft längere Zeit kräftig wuchs, waren inflationsbereinigte Kurzfristzinsen von 3% bis 4% üblich.

Normalität

Ein anderes wichtiges Investmentthema ist die Anpassung an eine Welt mit „normaleren“ Zinsen. Am Markt erwartet man für die nächsten fünf Jahre einen Rückgang der Zinsen auf 3,75% bis 4,0% in den USA und auf 2,25% bis 2,5% in Europa. Meiner Meinung nach orientieren sich die Märkte dabei zu stark an der letzten Zeit. Mindestens zehn Jahre lang herrschte Finanzrepression mit negativen Realzinsen. Es besteht also das Risiko, dass mit einem zu starken Zinsrückgang gerechnet wird. Denkbar ist, dass die mittel- bis langfristigen Anleihenrenditen kaum noch fallen. Nach meinem einfachen Modell, in dem die US-Zehnjahresrendite vom mittelfristigen Durchschnitt des nominalen BIP-Wachstums abhängt, sind amerikanische Staatsanleihen nahezu fair bewertet. Für 2024 erwartet man in den USA etwa 4,0% Wirtschaftswachstum und für die erste Jahreshälfte etwas mehr. Bei einer vorsichtigen Fed werden sich die mittelfristigen Renditen eher seitwärts bewegen. Mit US-Staatsanleihen wird man dann etwa 4% bis 5% verdienen.


Credits, bitte

Anleger müssen mit höheren Zinsen leben und brauchen sie im Grunde auch. Höhere Zinsen sind aber nur deswegen möglich, weil zumindest die US-Wirtschaft stärker ist als prognostiziert. Deshalb ist auch der reale Gleichgewichtszins höher. Mit Anleihen kann man dann mehr verdienen. Deshalb halte ich Credits 2024 für interessant: Eine stetig wachsende Wirtschaft, die mit dem derzeitigen Zinsniveau zurechtkommt, ist gut für Unternehmensanleihen. Allerdings ist die Rendite von Investmentgrade-Titeln in den USA wie in Europa ähnlich hoch wie der Geldmarktzins oder die Rendite kurz laufender Schatzwechsel. Sollte man also die Kredit- und Durationsrisiken von Unternehmensanleihen auf sich nehmen, wenn man am Geldmarkt genauso viel verdient? Die Frage ist berechtigt. Man sollte aber auch die Chancen berücksichtigen. Wenn die Leitzinsen fallen, erzielt man am Geldmarkt keine Kursgewinne, sondern bekommt einfach nur weniger Zinsen. Wenn aber die Anleihenrenditen zurückgehen, entstehen Kurs­gewinne. Und auch wegen des Zinseszinseffekts kann man mit Unternehmensanleihen zurzeit vielleicht mehr verdienen. Die Rendite euro- und sterlingdenominierter Investmentgrade-Papiere mit vier bis zehn Jahren Laufzeit liegt um 130 bis 150 Basispunkte über der Rendite von Staatsanleihen. Mit High Yield sind sogar noch höhere Mehrerträge möglich, und das bei einem niedrigeren Durationsrisiko als am Investmentgrade-Markt.

Geht die Hausse weiter?

Wenn die Zinsen fallen, werden Geldmarktanlagen gegenüber Credits unattraktiver. Das gilt vor allem gegenüber kurz laufenden Unternehmensanleihen mit oder ohne Investmentgrade-Status. Wir werden uns aber an ein höheres Zinsniveau gewöhnen müssen, was generell für einen höheren Anleihenanteil mit dem Ziel laufender Erträge spricht. Zugleich könnte die US-Wirtschaft noch länger ordentlich wachsen; ein „Super-Goldilocks-Szenario“ mit einer weichen Landung scheint denkbar. Für Unternehmensanleihen wäre das gut, für Aktien aber auch: Der S&P 500 ist diese Woche auf ein neues Allzeithoch gestiegen. Die meisten Aktienmärkte haben im Januar bislang etwas zugelegt, aber mit 7% Gesamtertrag hat der amerikanische Informationstechnologiesektor alles hinter sich gelassen. Amerikanische IT-Firmen haben bislang über ein Gewinnwachstum von durchschnittlich über 6% im 4. Quartal berichtet, gegenüber einem Gewinnrückgang von 1,9% am Gesamtmarkt. Künstliche Intelligenz (KI) war nicht nur 2023 ein wichtiges Thema, sondern wird auch die nächsten Jahre bestimmen. Es kann sich weiterhin lohnen, amerikanische Technologiewerte überzugewichten. Für den Aktienmarkt als Ganzes wird es hingegen schwieriger. Für 2024 wurden die Gewinnerwartungen gesenkt, und durch das niedrigere nominale Wachstum könnten die Gewinne zusätzlich unter Druck geraten. Das spricht für ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen Anleihen und Aktien.


Themen und Risiken

Zu Beginn habe ich die endlosen Diskussionen über mögliche Entwicklungen erwähnt, und ich selbst habe es nicht anders gemacht. Solange ich keine Kristallkugel habe, setze ich auf den laufenden Ertrag von Anleihen – und zwar einschließlich High Yield. Hier erwarte ich, sofern die Ausfälle nicht zu stark steigen, hohe Gesamterträge. Interessant scheinen mir aber auch europäische und britische Qualitätsaktien mit hohen Dividenden sowie wachstumsstarke US-Technologiewerte. Ich bin mir sicher, dass viele Leser jetzt über mögliche Risiken nachdenken, vor allem wegen der weltpolitischen Lage und mit Einschränkungen auch aufgrund von Fehlern wie einer zu straffen Geldpolitik und einer zu lockeren Fiskalpolitik. Die Weltlage kann den Außenhandel stören, die Preise steigen lassen und der Anlegerstimmung schaden. Trump 2.0 könnte in den USA Inflation, Zinsen und das Staatsdefizit steigen lassen und natürlich die internationalen Beziehungen auf die Probe stellen. Es ist unmöglich, all diese Unsicherheiten in eine Anlage­entscheidung einzu­beziehen. Wir müssen aber genau darauf achten, welche Länder, Sektoren und Unternehmen von einer Eskalation des Krieges in der Ukraine oder im Nahen Osten betroffen sind und welche unter wachsendem Populismus und Protektionismus leiden.

Was, wenn alles nur besser würde? 

Wir denken viel über mögliche Risiken nach. Aber hey, jetzt hat ein neues Jahr begonnen! Zeit für Fantasie und Optimismus: Was könnte positiv überraschen? Beginnen wir mit dem Inflationsausblick und sehen uns dazu die Produzentenpreise an. Der amerikanische Endnachfrage-Index ist im Vorjahresvergleich nur um 1,0% gestiegen, und in vielen Euroraum-Ländern gehen die Produzentenpreise sogar zurück. Sobald die stabileren Komponenten der Inflationsindizes – etwa Wohnkosten – zu fallen beginnen, könnte schnell auch der Gesamtindex auf die Notenbankziele zurückgehen. Könnte die Inflation also überraschend niedrig ausfallen? Falls ja, könnten die Zinsen stärker gesenkt werden, als ich angedeutet habe. Dann würde vielleicht verstärkt von Geldmarktfonds in risikobehaftete Wertpapiere umgeschichtet, und die Aktienhausse könnte weitergehen. All das setzt natürlich ein ordentliches Wirtschaftswachstum voraus.

Vielleicht brauchen wir dazu wirklich etwas Fantasie. Was wäre, wenn die Demokraten eine Alternative zu Joe Biden fänden, damit Donald Trump im November nicht gewinnt? Vielleicht beenden die USA dann endlich ihre Nabelschau und starten diplomatische Initiativen für die Ukraine und den Nahen Osten. Selbst die Beziehungen zu China könnten sich verbessern, da Chinas Regierung der Bevölkerung endlich einige gute Nachrichten präsentieren muss. Bessere Beziehungen zwischen den USA und China würden die Welt sicherlich stabilisieren und reicher machen, zumal der Umgang mit dem KI-Boom eine funktionierende Zusammenarbeit erfordert. Unterdessen wird es in Großbritannien wohl zu einem Regierungswechsel kommen. Es wäre schön, wenn die neue Regierung der EU offener begegnete und einige Gesetze zurücknähme, die britischen Firmen den Zugang zum europäischen Markt erschweren. Noch hat sich Labour zwar nicht zu einem Wiedereintritt in die EU bekannt, doch könnte eine neue Regierung viel tun, was den britischen Wirtschaftsausblick und den britischen Aktienmarkt stärkt. Eine weitere und vermutlich wahrscheinlichere positive Entwicklung wäre eine Erholung Chinas dank größerer Konjunkturprogramme und eines allmählich wieder besseren Konsumklimas. Chinas Aktienmarkt war eine Katastrophe, und eine bessere Performance könnte eine der Überraschungen des neuen Jahres sein.

Schlecht ist teurer als gut

Die Chancen, dass etwas von all dem passiert, sind gering. Aber wir können überraschend gute Entwicklungen ebenso wenig aus­schließen wie überraschend schlechte. Eine Verkaufsoption auf den S&P 500 mit einem Aus­übungskurs von 3.800 in einem Jahr kostet zurzeit mehr als dreimal so viel wie eine Kaufoption mit einem Strike von 6.000. Dem Markt ist Verlustabsicherung heute sehr viel mehr wert als zusätzliches Gewinnpotenzial. Wer von einer überraschend guten Entwicklung profitieren will, muss sehr viel weniger bezahlen, weil sie für unwahrscheinlicher gehalten wird. Genauso unwahrscheinlich wie ein baldiger Titel­gewinn von Manchester United … Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

Performancedaten/Quellen: Refinitiv Datastream, Bloomberg, Stand 26. Januar 2024. Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist kein Hinweis auf künftige Erträge.

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