Investment Institute
Anlageklassen Insights

Geldpolitik und der natürliche Zins R*

Im Überblick
Der natürliche Zins R* ist ein wichtiges Konzept für die Geldpolitik, lässt sich aber leider nicht beobachten.
Aus der Zinsstrukturkurve lässt sich aber ableiten, wie die Marktteilnehmer R* einschätzen.
In letzter Zeit könnte R* gestiegen sein. Damit sich die Bewertungen wichtiger Assetklassen daran anpassen, müssen die Risikoprämien steigen.

Ein Zins, den man nicht beobachten kann

In der Theorie lässt sich die Rendite einer risikolosen Anleihe in vier Komponenten zerlegen: den natürlichen Zins R*, die Erwartungen zur Geldpolitik, die erwartete Inflation und die Risikoprämie. Allerdings ist das Zusammenspiel von Märkten und Notenbanken beim natürlichen Zins komplex – mit entsprechend vielschichtigen Auswirkungen auf Geldpolitik, Anleihenrenditen und Risikoprämien.

2002 definierten die beiden Volkswirte Thomas Laubach und John Williams, heute Präsident der New York Fed, R* neu – und zwar als „denjenigen realen Kurzfristzins, bei dem sich das BIP dem Produktionspotenzial annähert – also jenem gesamtwirtschaftlichen Output, bei dem die Inflation konstant bleibt.“1

Vereinfachend wird R* oft als derjenige Kurzfristzins bezeichnet, bei dem die Wirtschaft voll ausgelastet und die Inflation stabil ist. 

Abbbildung 1: Schätzungen des natürlichen Zinses in den USA

Quelle: Bloomberg

Die Fed veröffentlicht mehrere Schätzungen von R* (Abbildung 1). Dabei fällt die starke Streuung am aktuellen Rand auf, von 0,75% bis 3,1%. Auch die Schätzungen für den Euroraum, die die EZB gerade erst veröffentlicht hat, liegen ähnlich weit auseinander. Auffällig ist auch, dass sich R* im Zeitablauf stark verändert hat. Von 1970 bis 2002 betrug der natürliche Zins im Schnitt 2,5%, um dann 2009 auf 0% bis 0,5% zu fallen. Auch nach dem Coronaschock war er ähnlich niedrig.

  • R2F6aW5nIGF0IHItc3RhcjogR2F1Z2luZyBVLlMuIG1vbmV0YXJ5IHBvbGljeSB2aWEgdGhlIG5hdHVyYWwgcmF0ZSBvZiBpbnRlcmVzdCAtIERhbGxhc2ZlZC5vcmcu

Die Zinsstrukturkurve verspricht Hilfe

Zum Glück können Investoren aus den Zinsstrukturkurven viele wichtige Informationen ableiten. Zinsstrukturkurven fassen die erwarteten Auswirkungen eines komplexen Zusammenhangs zu einem bestimmten Zeitpunkt zusammen. So lässt sich aus den Terminkursen eine Marktschätzung von R* ableiten. Der implizite 1-Monats-Zins in fünf Jahren ist eine Annäherung an den von den Marktteilnehmern erwarteten künftigen Gleichgewichts-Leitzins. Wenn man dann noch die Laufzeitprämie abzieht (also den Zusatzertrag, den man für eine längerfristige Kreditvergabe erwartet), erhält man eine Schätzung des nominalen R* (Abbildung 2).

Abbildung 2: R* aus Modell- und Marktsicht

Quellen: AXA IM, Bloomberg

Vier Dinge fallen auf:

  • Die modellbasierten Schätzungen liegen um beachtliche 140 Basispunkte auseinander. Auch wenn das ausschließlich an methodischen Unterschieden liegt, zeigt es doch, wie unsicher wir uns über den natürlichen Zins sind.
  • Unsere marktbasierte Schätzung für R* scheint sich nicht wesentlich von der Schätzung von Lubik und Matthes zu unterscheiden2  – beim aktuellen Niveau ebenso wie bei der Entwicklung. Lubik und Matthes leiten R* aus dem Potenzialwachstum ab.
  • Mit etwa 4,5% liegt unser marktbasiertes R* jetzt um etwa 170 Basispunkte über dem Durchschnitt der Jahre 2009 bis 2019.
  • Es ist unklar, inwieweit die Geldpolitik und damit die marktbasierten R*-Schätzungen letztlich Auswirkungen auf das wahre, aber nicht beobachtbare R* haben. Laut Volkswirt Gianluca Benigno (2024)3  kann es sein, dass die Geldpolitik, auch wenn sie langfristig in der Regel als neutral gilt, „zumindest sehr lang anhaltende Auswirkungen auf reale Größen hat.“ Wenn nach zehn Jahren Quantitative Easing auch noch eine expansive Fiskalpolitik betrieben wird, kann das am Ende Auswirkungen auf die Ressourcenallokation und damit auf die Produktivität haben.

Eins steht aber fest: Es handelt sich nicht um eine rein theoretische Diskussion. In den letzten sechs Monaten hat vor allem der Rückgang der Zinssenkungserwartungen um 130 Basispunkte US-Staatsanleihen beeinflusst. Die marktbasierten Inflationserwartungen veränderten sich in dieser Zeit aber nur um 30 Basispunkte und hatten daher naturgemäß nur geringe Auswirkungen auf die Entwicklung der Zehnjahresrenditen (Abbildung 3).

Abbildung 3: Einflussfaktoren auf die US-Staatsanleihenrenditen

Quelle: Bloomberg

  • THViaWstTWF0dGhlcyBOYXR1cmFsIFJhdGUgb2YgSW50ZXJlc3QgfCBSaWNobW9uZCBGZWQu
  • UXVvIHZhZGlzLCByKj8gVGhlIG5hdHVyYWwgcmF0ZSBvZiBpbnRlcmVzdCBhZnRlciB0aGUgcGFuZGVtaWMgKGJpcy5vcmcpJm5ic3A7QmVuaWdubywmbmJzcDtIb2ZtYW5uLCZuYnNwO051w7FvIEJhcnJhdSZuYnNwO3VuZCBTYW5kcmku

Unsicherheit über die Geldpolitik = höhere Risikoprämie

Große Unsicherheit über R* führt zwangsläufig zu einer Unsicherheit über die Entwicklung der Geldpolitik. Auch hier lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. Ende der 1960er Jahre führten Messfehler zu falschen geldpolitischen Erwartungen. Die hohe und volatile Inflation in den 1970er Jahren hätte vielleicht teilweise vermieden werden können, „wenn die Fed erstklassige Informationen über die Wirtschaftsstruktur gehabt hätte.“4

Die Parallelen zu heute liegen auf der Hand. Was wäre, wenn der natürliche Zins über den derzeitigen Schätzungen läge? Was wäre, wenn die langfristige Schätzung von 2,6% Veränderungen der Wirtschaftsstruktur unberücksichtigt ließe? Die Geldpolitik wäre dann vielleicht nicht so straff wie allgemein angenommen. Die Risikoprämien der einzelnen Assetklassen wären dann vielleicht zu niedrig, um Investoren für die Auswirkungen eines neuen Zinsregimes auf die Kurse zu entschädigen.

In der Praxis spricht viel dafür, dass die Federal Funds Rate zurzeit über den meisten Schätzungen von R* liegt. Die Geldpolitik ist also restriktiv und die Inflation scheint zu fallen. Gewisse Zinssenkungserwartungen für dieses Jahr sind daher berechtigt. Die Notenbanken signalisieren aber – vielleicht aufgrund ihrer internen Diskussionen über den natürlichen Zins – dass die Märkte nicht zu früh mit zu vielen Zinssenkungen rechnen sollen. Das hat wiederum Auswirkungen auf die erwarteten Erträge aller Arten von Anleihen und es ist ein gutes Argument für Kurzläufer. Schließlich sind die Zinsstrukturkurven invers. Es wird also mit einem deutlichen Zinsrückgang gerechnet.

  • T3JwaGFuaWRlcy9XaWxsaWFtcyAoMjAxMCku
Geldpolitik und der natürliche Zins R*
Vollständigen Artikel herunterladen (EN) (349.46 KB)
Was die Zinssenkung der Fed für US-High-Yield bedeutet
Anlageklassen Insights Anleihen

Was die Zinssenkung der Fed für US-High-Yield bedeutet

  • von Jack Stephenson
  • 26 September 2024 (3 Minuten Lesezeit)
Investment Institute
50!
Anlageklassen Insights Die Sicht des CIO

50!

  • von Chris Iggo
  • 20 September 2024 (5 Minuten Lesezeit)
Investment Institute
Mit Schwung ins Tal
Anlageklassen Insights Die Sicht des CIO

Mit Schwung ins Tal

  • von Chris Iggo
  • 13 September 2024 (5 Minuten Lesezeit)
Investment Institute
Mahnung zur Vorsicht
Anlageklassen Insights Die Sicht des CIO

Mahnung zur Vorsicht

  • von Chris Iggo
  • 06 September 2024 (5 Minuten Lesezeit)
Investment Institute
Den Schritt wagen: Vom Sparer zum Investor
Anlageklassen Insights Multi-Asset-Anlagen

Den Schritt wagen: Vom Sparer zum Investor

  • von AXA Investment Managers
  • 06 September 2024 (5 Minuten Lesezeit)
Investment Institute

    Rechtliche Hinweise

    Anlagen enthalten Risiken, einschließlich dem des Kapitalverlustes. Die hier von AXA Investment Managers Deutschland GmbH bzw. mit ihr verbundenen Unternehmen („AXA IM DE“) bereitgestellten Informationen stellen weder ein Angebot zum Kauf bzw. Verkauf von Fondsanteilen noch ein Angebot zur Inanspruchnahme von Finanzdienstleistungen dar.

    Die Angaben in diesem Dokument sind keine Entscheidungshilfe oder Anlageempfehlung, (aufsichts-) rechtliche oder steuerliche Beratung durch AXA Investment Managers Deutschland GmbH bzw. mit ihr verbundenen Unternehmen („AXA IM DE“), sondern werden ausschließlich zu Informationszwecken zur Verfügung gestellt. Die vereinfachte Darstellung bietet keine vollständige Information und kann subjektiv sein.

    Dieses Dokument dient ausschließlich zu Informationszwecken des Empfängers. Eine Weitergabe an Dritte ist weder ganz noch teilweise gestattet. Wir weisen darauf hin, dass diese Mitteilung nicht den Anforderungen der jeweils anwendbaren Richtlinie 2004/39/EG bzw. 2014/65/EU (MiFID/ MiFID II) und der zu diesen ergangenen Richtlinien und Verordnungen entspricht. Das Dokument ist damit für jegliche Form des Vertriebs, der Beratung oder der Finanzdienstleistung nicht geeignet.

    Die in diesem Dokument von AXA IM DE zur Verfügung gestellten Informationen, Daten, Zahlen, Meinungen, Aussagen, Analysen, Prognose- und Simulationsdarstellungen, Konzepte sowie sonstigen Angaben beruhen auf unserem Sach- und Kenntnisstand zum Zeitpunkt der Erstellung. Die genannten Angaben können jederzeit ohne Hinweis geändert werden und können infolge vereinfachter Darstellungen subjektiv sein. Eine Haftung oder Garantie für die Aktualität, Richtigkeit und Vollständigkeit der zur Verfügung gestellten Informationen wird nicht übernommen. Soweit die in diesem Dokument enthaltenen Daten von Dritten stammen, übernehmen AXA IM DE für die Richtigkeit, Vollständigkeit, Aktualität und Angemessenheit dieser Daten keine Gewähr, auch wenn nur solche Daten verwendet werden, die als zuverlässig erachtet werden.

    Wertentwicklungsergebnisse der Vergangenheit bieten keine Gewähr und sind kein Indikator für die Zukunft. Wert und Rendite einer Anlage in Fonds können steigen und fallen und werden nicht garantiert.

    Informationen über Mitarbeiter von AXA Investment Managers dienen lediglich Informationszwecken und sind stichtagsbezogen. Ein Weiterbeschäftigungsverhältnis mit diesen Mitarbeitern wird nicht garantiert.